Explosion bei Delogierung: Lebensgefahr für Schlosser

Wenn man seine Miete nicht zahlt, dann fliegt man raus. Warum jemand nicht zahlen kann, das ist eine Frage fürs Sozialamt oder Familienministerium, oder sonstigen Institutionen. Bei aller Härte dieser Delogierungen muss der Betreiber, also der Vermieter in Schutz genommen werden. Jeder Hausbesitzer benötigt Einnahmen von Seiten seiner Mieter, denn er hat gewaltige Verpflichtungen zu leisten. Wasser, Müll, Verwaltung, Strom, Reparaturen und Instandsetzungen, all diese Kosten muss der Vermieter tragen. Und jeder weiss, dies ist kein Pappenstiel. Ein verantwortungsvoller Eigentümer ist daher bestrebt zahlungsfähige Leute in sein Haus einzuquartieren, die für einen ordentlichen Ablauf der Zahlungen sorgen.

Andere müssen zahlen
Fällt ein Mieter mit seinen Zahlungen aus, so müssen die anderen für den säumigen Kollegen einspringen. Das will niemand und kann auf Dauer keine Lösung sein. Deshalb gibt es Delogierungen und eine Neuvermietung, sonst wäre der Wohnraum aller in Gefahr. Üblicherweise dauert dies in Wien eine verdammt lange Zeit bis ein Räumung vom Gericht erlaubt wird. Ein Jahr ist das mindeste.

Hohe Anforderungen an alle Beteiligten

Der Ablauf einer Räumung ist keineswegs ein Honiglecken, und ist besonders für den beigezogenen Schlüsseldienst „A ganz miese Hackn“, wie man in Wien sagt. Die zu delogierenden Mieter verlassen nur in seltenen Fällen die Wohnung freiwillig. Ein Gerichtsvollzieher (Exekutor) klopft an die betroffene Türe und gibt den behördlichen Befehl die Wohnung zu öffnen. Der Schlosser beginnt zu bohren, um den Exekutor und Vermieter Zutritt zu verschaffen. Nicht selten wehrt sich rausgeschmissene Mieter und schlägt zu. Jeder Schlüsseldienst kann über Watschen, gebrochene Finger oder Platzwunden berichten. Ab und zu kommt auch ein Messer oder sogar ein Schwert zum Vorschein, und verletzte Schlüsseldienst Mitarbeiter sind häufig Gast im Krankenhaus. Revolver und Gewehre sind selten, kommen aber auch vor und ab und zu wird sogar ein Schlosser und der Vermieter, Exekutor an- oder erschossen.

Schlosser und Schlüsseldienst oft Opfer von Gewalt
Was jedoch heute am 26 Jänner in Wien passierte, das ist eine neue Dimension der Gewalt. Bei einem zu delogierenderen Mann kam es zu einer Explosion, als der Exekutor läutete. Das halbe Haus flog einfach in Luft. Und mit dem Mann flog der Schlosser, der Hausbesitzer, seine Frau und der Gerichtsbeamte und noch 10 Menschen mit. Nebenbei verursachte die Sprengung einen Schaden in Millionenhöhe. Die ganze Nacht strömte Gas aus und entzündete eine gewaltige Gasexplosion beim Klingeln um 7.30, als die Gruppe vor der Tür stand. Ein Mann starb, und drei weitere Personen sind schwerst verletzt, darunter der Schlüsseldienst, ein Kollege von mir.

Sozialamt muss Miete übernehmen
Als Branchenkenner und Insider weiss ich, dass es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kommen wird. Niemand verliert gerne seine Wohnung und schläft auf der Strasse, insbesondere nicht im Jänner. So sehe ich es als Pflicht des Sozialstaates diesen Mietern zu helfen und finanziell unter die Arme zu greifen. Es ist unverantwortlich unschuldige Menschen, wie Nachbarn, Schlosser, oder andere Mieter diesen Gefahren einer Eskalation auszusetzen. Abgesehen vom menschlichen Leid wäre es auch billiger für ein paar Monate die Miete zu begleichen, als ein gesprengtes Haus wieder aufzubauen.

Das ist kein Spass, wenn der Exekutor läutet. Oftmals gibt es Todesopfer unschuldiger Menschen

Das ist kein Spass, wenn der Exekutor läutet.
Oftmals gibt es Todesopfer unschuldiger Menschen

Der Schuldner lässt sich aus dem Fenster fallen

Herr Martin S., der Gerichtsvollzieher sieht auf die Uhr. Es ist 11.22 und dies ist der elfte Akt heute. Wir liegen etwas hinten, im Normalfall sind wir bereits fertig und erledigen die Papierarbeit während des frühen Mittagsessens. Heute war die Sache schwieriger, kein einziger unserer unfreiwilligen Kunden öffnete die Tür. Zehn Mal musste ich bereits als Schlossöffner tätig werden und Herrn Martin S., Einlass gewähren. Das ist nun mal der Job als Gerichtsschlosser. Technisch gesehen waren die heutigen Akten aufwendig, mental jedoch unbelastend. Zehn Exekutionen sind keine grosse Sache, der Schlüsseldienst öffnet die Tür, der Exekutor betritt die Wohnung mit einem Zeugen und klebt den Bundesadler auf einen Wertgegenstand. Das war es auch schon. Wenn niemand anwesend ist, dann gibt es keine Diskussion und keinen Streit. Der Klient hat noch einige Monate Zeit die offene Rechnung zu begleichen. Unser nächster Auftrag, der elfte ist ein anderes Kaliber. Es ist eine Delogierung. Der Klient wird der Wohnung verwiesen, Schloss wird getauscht und der säumige Zahler verliert seinen Unterschlupf. Das ist hart! Hart für alle. Wir erledigen diese Akten immer als letztes am Tag. Der Exekutor will den Delinquenten so lange wie möglich in seinem Nest lassen und sämtliche beteiligten Personen nicht zu früh mit den traurigen Umständen belasten.

Die Tür ist offen
Herr S. klopft an die Tür im sechsten Stock des Neubaus. Die Tür springt auf, sie war anscheinend lediglich angelehnt. „Hallo Herr G.“, ruft der Exekutor, „ist wer zu Hause?“ und setzt dabei einen Schritt in die Wohnung. Der Zeuge und ich folgen ihm. Der Beamte erblickt den zahlungsunfähigen Klienten im Wohnzimmer. „Grüss Gott Herr G, Sie wissen warum wir hier sind. Es ist eine traurige Angelegenheit, das weiss ich, jedoch kann Ihnen nun niemand mehr helfen, Leider, das würden wir wirklich gerne, aber leider, nun ist es zu spät!“ Von der Tür aus kann ich ebenfalls den Schuldner sehen. Ein gepflegter Mann Mitte dreissig im dunklen Anzug und Krawatte lehnt vor einem offenen Terrassentür, ein klassischer französischer Balkon, wie man ihn bei Luxuswohnungen und Penthäusern findet. Diese Art von Fenster verleiht dem Raum einen grossen Anteil an Freiheit. Man hat das Gefühl mit der Natur verbunden zu sein. Das ganze Zimmer wird mit Licht und frischer Luft durchflutet. Der Gerichtsvollzieher gibt mir durch ein kurzes Nicken Bescheid meine Arbeit zu beginnen und das Schloss an der Eingangstüre zu tauschen. Ich öffne meine Werkzeugtasche und greife nach einem Schraubenzieher, mein Blick wandert wieder zum Mieter. Es sind seine letzten Minuten in seiner Wohnung. Er lehnt weiter am Stahlgitter des Fensters und lächelt ein wenig. Die Absperrung ist nicht besonders hoch, sie reicht etwas über seine Hüfte, die obere Körperhälfte ist frei. Herr G. sieht mir beim Herausdrehen der Stulpschraube zu und lächelt weiter.

Plötzlich passiert etwas Unvorhersehbares
Es kommt wiederum zu einem halbzufälligen Blickkontakt zwischen mir und Herrn G.. Plötzlich passiert etwas Unglaubliches! Herr G. sieht mir direkt in die Augen, lehnt sich weit zurück und lässt sich rücklings aus dem Fenster fallen. Stumm und mit steinerner Miene verschwindet er rasant aus meinem Gesichtsfeld und stürzt hinab. Wenige Sekunden später vernehme ich ein schwachen dumpfen Aufschlag, kaum hörbar. Ich erstarre zu Eis und starre auf das leere offene Fenster. Der Gerichtsvollzieher sieht mich ebenso verdutzt und schockiert an, wie ich ihn. Keiner von uns zwei ist fähig ein Wort zu sprechen oder zu handeln. Wir sehen uns nur an. Ebenso still ist der Zeuge. Er steht genau neben uns wie eine Säule. Nach einiger Zeit, eine gefühlte Ewigkeit, jedoch habe ich keine Ahnung wie lange wir so standen, lichtet sich ein klein wenig der Nebel in meinem Kopf und ich greife nach meinem Handy. Der Anruf gilt der Polizei, welche aber bereits bei uns in der Wohnung steht. Jemand anderer hatte dies anscheinend vor mir getan. Nun höre ich im Hintergrund die Sirene der Rettungsfahrzeuge, welche sich nähern. Wie in Trance nenne ich einen Polizisten meinen Namen und meine Telefonnummer, dann greife ich zu meiner Werkzeugtasche und gehe. Langsam schwanke ich die sechs Stockwerke hinunter, raus aus dem Haus und vorbei an der zerschmetterten und verdrehten Leiche von Herrn G. Die gesamte Strasse ist erfüllt von Blaulicht und Sirenenlärm. Es ist nun 11.45.